Wanderer (2011)
Text: Joshua Sobol
Bob ist Doppelagent, d.h., er arbeitet für den israelischen Geheimdienst, der ihm befiehlt, eine palästinensische Frau aus den höchsten und wohlhabendsten Kreisen im Gaza-Streifen zu heiraten, damit er die Terroranschläge gegen Israel, die von dort aus organisiert werden, vereiteln kann. Bob ist allerdings schon mit einer Israelin verheiratet und Vater zweier Kinder. Er hält dem psychischen Druck nicht stand; er trinkt und verkommt. Seine Aufzeichnungen hat er zum größten Teil zerstört, die übrigen hat er unsortiert in Kartons verstaut.
Ana, eine junge Israelin, meldet sich auf eine Anzeige hin und versorgt Bob … aber ihre Hauptaufgabe wird sein, die Papiere in den Kartons zu sichten und zu ergänzen. Ana arbeitet für die israelische Geheimpolizei. Aber das ist nur eine Möglichkeit. Wer ist sie wirklich? Ist ihre Identität überhaupt festzulegen?
In diesem Kampf um Verdrängen oder Erinnern entsteht eine Welt, in der sich die beiden Wanderer neu erfinden können.
Ensemble und Besetzung
Darsteller:
Bob: Karsten Pätz
Ana: Karoline Leder
Text: Joshua Sobol
Regie: Mathias Neuber
Technik: Elisa Marquardt
Maske: Bianca Strauch / Stephi Möller
Souffleuse: Christin Philipp
Plakatentwurf und Fotos: Patrick Niegsch
Premiere war am 16. Juli 2011
Kritik im Blicklicht 03/12 von Christiane Freitag
Gesehen: Wanderer
Zugegeben, die Premiere von „Der Wanderer“ ist schon eine Weile her, doch das ist ja kein Grund nicht darüber zu berichten. Vielmehr eine gute Gelegenheit das Stück noch einmal zurück in die Erinnerung zu bringen, denn diese Stückinszenierung (Regie: Mathias Neuber) ist es wirklich wert, dass man sie sieht und sie im Programm der BÜHNE acht bleibt.
Diese zuweilen schon sehr schizophrenen Züge des Stücks werden von den beiden Hauptdarstellern Karoline Leder und Karsten Pätz mit purem Leben erfüllt. Mit einer unglaublichen Souveränität „wandern“ die beiden zwischen den Rollen hin und her und erzeugen dabei ein perfekt ineinandergreifendes Zusammenspiel, das in Theatern nicht oft zu erleben ist. Die Bühne kommt dabei mit dem wenigsten aus: ein Tisch, zwei Stühle, weiße Vorhänge – den großartigen Rest erspielen die Schauspieler, so dass es dieses Stück locker mit professionellen Produktionen aufnehmen kann. Chapeau! Und so bleibt die Frage nach dem ‚Richtigen‘ oder dem ‚Falschen‘ am Ende nicht unbeantwortet: Es gibt kein richtig oder falsch. Es gibt nur ein anders. Wieder einmal ein Stück mit einer Moral am Ende…
Von Christiane Freitag
BLICKLICHT 03/12
Kritik in der Lausitzer Rundschau vom 18. Juli 2011
Wörter hinter Masken
In Konkurrenz gegen Hochsommer und Fußball einen Zuschauerraum voll zu bekommen, das alleine ist eine Kunst, die etablierten Theatern nie, der Szene aber auf rätselhafte Weise immer wieder gelingt. So auch der Cottbuser Studentenbühne 8 in den Katakomben des Unigeländes am letzten Sonnabend.
Von Beruf Doppelagent
Der erste der „Wanderer“ ist Bob: Schlagzeuger, Familienvater, Doppelagent. Bob haust zwischen halbleeren Jim-Beam-Flaschen und Bananenkisten, voll mit den auf Papier und Disketten festgehaltenen Fetzen seines Lebens. Weil er weder diese Fetzen noch sein Leben mehr sortiert bekommt, heuert er Ana an, aus den Kisten Ordnung zu schaffen. Doch die gerufenen Geister werden beide nicht mehr los: Bobs Doppelleben zwischen Israel und Palästina. Bob, von Beruf Doppelagent. Sein Verrat ist es, der hundert anderen das Leben gerettet hat. Wäre da nicht für ewig das Bild des zerfetzten Freundes, das Geräusch eines berstenden Kinderschädels… Ana sortiert Bobs Erinnerungen, heftet sein Trauma ab in Ordner, bis auch sie ein „Wanderer“ zwischen Welten wird: Identität? Völlig unklar.
Warum nur lässt uns das alles so bestürzend kalt? Kann sein, dass Regisseur Mathias Neuber sich diesmal bereits bei der Stückauswahl rettungslos verhoben hat. Selbst Profibühnen spielen „Die Wanderer“ selten. Das Trauma des Krieges, den Alptraum von Schuld, der Wahnsinn eines Doppellebens – das nachzuempfinden braucht Erfahrung oder viele Jahre der Ausbildung, wahlweise in Psychotherapie oder Schauspielmethodik. Trauma-Opfer schreien, flennen, toben, sie sind plötzlich wieder Kind oder brechen zusammen. Von all dem haben Neuber und seine beiden tapferen Darsteller nicht einmal einen Schimmer.
Bin Laden im Karohemd
Das ist gut für sie, aber abträglich für den Abend: Anderthalb Stunden verändern sich weder Stimmen noch Körperlichkeit. Überdies macht die Maske diesen Bob von Karsten Pätz zur Karikatur: Bin Laden, aus dem Erdloch in ein Karohemd geschlüpft. Karoline Leder als Ana, die behauptet, nicht mehr ertragen zu können, was sie da erfährt: An ihrer Makellosigkeit ändert das nichts. Auf dem dramaturgischen Höhepunkt lässt Neuber die beiden Figuren gar in ein therapeutisches Rollenspiel geraten, schlüpft Ana als Führungsoffizierin in einen, Achtung, Bundeswehrparka. Aktualisierung. ick hör dir trapsen.
Beim Gehen sagt ein Zuschauer, für deren Möglichkeiten sei das gar nicht schlecht gewesen. Vernichtender kann Kritik eigentlich nicht sein. Hingegen ist Theater immer dann unwiderstehlich, wenn es sich auf sein besonderes Potenzial, seine spezielle Lebenswirklichkeit bezieht. Das ist an der Bühne 8 nicht anders als an der Berliner Volksbühne oder dem Cottbuser Staatstheater.
Keine Angst bitte vor nicht ganz so starkem Tobak.
Von Sylvia Belka-Lorenz
Lausitzer Rundschau