Pokalendspiel (2007)

Deutschland, ein Sommermärchen, ist vorbei. Zwei fußballbegeisterte Schauspielerinnen rollen die schwarz-rot-goldenen Fahnen ein und stehen als Jan und Paul, fußballbesessene Jungs im London der siebziger Jahre, ohne Eintrittskarten vorm Wembleystadion! Manchester United im Pokalendspiel! Die Anhänger von ManU, Doc’s rote Armee, marschiert! – Wohin, und woher sie kommen, Jan und Paul und Louis, der Pakistaner, der unbedingt seinen Platz in dieser Gesellschaft will, das zeigt dieser Ausflug in die siebziger Jahre, als das Industriezeitalter zu Ende ging. Längst versunken, scheint es abgelöst von der Partygesellschaft. Aber ist es das wirklich?

CATCH ME, IF YOU CATCH CAN, HOOLIGAN – Ein Fußballstück von Barry Keeffe

 

Ensemble und Besetzung

Besetzung:
PAUL: Katharina Riedel
JAN: Ypsi Ciupack

Technik: Daniel Göring, Matthias Schreve
MASKE: Kristin Doneth
SOUFFLEUR: Torsten Dubrow

REGIE / DRAMATURGIE: Mathias Neuber

Premiere war am 15.März 2007

 

Lausitzer Rundschau, 17. März 2007

Zu Hause in der Ostkurve

Es ist fast wie vor einem richtigen Stadion. Ein quer laufender Drahtzaun, oben mit Stacheldraht bestückt, verhindert den Zutritt zu den Zuschauerrängen. Am Zaun befestigt zwei Vereinsfahnen von Manchester United, diverse Zettel und abgerissene Plakate, vorm Zaun, am Boden, eine Kiste Bier, gefüllt, Wohlstandsmüll: Ambiente für eine neue Inszenierung an der Cottbuser Neuen Bühne 8. „Pokalendspiel“ von Barrie Keeffe hatte am Donnerstag Premiere.

Noch eine dreiviertel Stunde bis zum Beginn des Pokalendspiels. Und Paul und Jan, die beiden Freunde und Mitglieder der ManU-Fanfamilie in der Ostkurve, sind noch draußen. Ausgerechnet heute haben sie keine Eintrittskarten, Jans Onkel Harold und Louis, der Kumpel, haben nicht helfen können. Die gesamte Saison sind Jan und Paul ihrem Verein zu den Auswärtsspielen hinterhergefahren, kreuz und quer durch England, bei Wind und Wetter. Sie sind keine Edelfans, der Fußball, mehr noch ManU, der Klub, sind ihnen Heimat, Familie, Fluchtpunkt in einem. Ihr Lebensinhalt ist es, Fan eines Vereins zu sein. Und wehe, er, der Verein, entzieht ihnen seine Zuneigung, lässt sie nicht ins Stadion rein. Dann entwickeln Ersatzhandlungen und Gefühlssurrogate eine gefährliche negative Energie, die sich austoben will: fatale Abhängigkeiten entäußern sich in blinder Zerstörungswut. Schon äußerlich outen sich Paul (Katharina Riedel) und Jan (Ypsi Ciupack) in ihrer Kostüm- und Maskenuniformität als ManU-Fans. Martialisch und doch nur die harte Schale. Katharina Riedel spielt den Paul als den Abhängigeren.

Sechs Tage Arbeitswoche an der Blechschneidemaschine, am siebenten Tag Manchester United. Der Vereinsdroge verfallen, terrorisiert sie Freund Jan wegen der fehlenden Eintrittskarten und versucht am Ende ohne Rücksicht auf sich selbst mit Gewalt ins Stadion zu kommen. Nach außen rau, zeigt die Darstellerin sehr präzise, wie verletzbar die Erkenntnis über die eigene Rolle im System des kommerzialisierten Fußballs macht. Ypsi Ciupack spielt ihren Jan als einen Fan, der auf der Suche nach einer neuen „Familie“ ist, nach einem neuen Zuhause, der Armee. Anrührend ihre Bemühungen, den Zorn des Freundes zu besänftigen; bestürzend der kurze Moment inniger gegenseitiger Zuwendung, der schlaglichtartig die emotionale Verlassenheit beider aufscheinen lässt. Regisseur Mathias Neuber gelingt mit den beiden Darstellerinnen ein beeindruckendes Psychogramm zwischen Vereinsamung und Ersatzhandlungen. Die Besetzung mit zwei Frauen für die männlichen Rollen erweist sich als Glücksgriff, der Blick hinter die Fassade lässt die Verletzbarkeit der Figuren, körperlich und seelisch, in einem grelleren Licht erscheinen Streitbar ist die Klammer der Inszenierung, mit dem optischen Verweis per Videoeinspiel den nationalen Taumel zur Fußball-WM in Deutschland oder gar die Anleihe einiger Zeilen nazistischen Liedgutes. Dennoch, die Neue Bühne verfügt über ein weiteres interessantes Angebot.

 

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